Versuch einer abschließenden Betrachtung

Da ich schon seit knapp einem Monat wieder in Österreich bin, scheint mir jetzt ein guter Zeitpunkt mit einigem Abstand nochmal einen Blick auf mein Erlebtes in Venezuela zu legen und somit den Blog vorläufig auch abzuschließen.

 Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass ich mit zu hohen Erwartungen an die “Bolivarische Revolution” nach Venezuela gereist bin. Mir war zwar klar, dass dort kein Sozialismus herrscht – was immer das auch sein soll – aber ich hab doch an die vielen Berichte und Geschichten geglaubt, wonach ein großer Teil der Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand genommen hätte und auf gutem Weg wäre, die Verhältnisse und Lebensbedingungen selbständig zum Besseren zu ändern.

Nun ja, nach meiner Einschätzung trifft genau das nur sehr begrenzt zu. Ein Teil der Bevölkerung – ein für mich unerwartet großer Mittelstand – lebt relativ gut. Ich würde die Lebensbedingungen durchaus wenn auch mit Abstrichen mit dem “Mittelstand” bei uns vergleichen. Also Wohnung oder kleines Häuschen, fixen Job als Angestellte/r, FacharbeiterIn (in der Industrie) oder Selbständige/r, eigenes Auto, PC, Internet und wie man sich das bei uns halt auch vorstellt. Allerdings ist das in Venezuela eben ein kleiner Teil der Bevölkerung, während der Großteil der Menschen relativ arm ist. Also die Lebenshaltungskosten für den so genannten Mittelstand werden ein bisschen niedriger sein als bei uns, zB: Essen, oder auf ein Bier gehen, kostet fast soviel wie in Österreich. Öffentlicher Verkehr ist dagegen billiger. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt allerdings nur rund 190 Euro pro Monat. Und der wird oft durch “atypische Beschäftigung” also Menschen die keinen Arbeitsvertrag haben unterlaufen.

Wenn man jetzt bedenkt, dass Venezuela ein Dritte Welt Land ist, dass im großen und ganzen hauptsächlich vom Erdöl lebt, kann man sich vorstellen, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der irgendwas zwischen 1.000 und 2.000 Euro im Monat verdient – die würd ich jetzt durchaus großzügig und zum Mittelstand zählen. Ãœber die Lebenssituation in den Barrios (also den Armensiedlungen) kann ich leider nichts konkretes berichten, weil wirs nicht geschafft haben, in eines reinzukommen. Alles was ich berichten kann, ist hörensagen: große Gewalt; Armut; staatliche Versuche, die Grundversorgung an Ernährung, Gesundheit, Frisch- und Abswasser herzustellen und Alphabetisierungsprogramme zu starten.

Was wir nicht gesehen haben, waren Versuche, Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie, neuen Industrien oder anderen Bereichen zu schaffen. Mit einer Ausnahme. Der staatlichen Verwaltung. Mir scheint, dass versucht wird, den Großteil des Geldes, dass durch das Erdöl verdient wird, in eine Art karitative Maßnahmen zu stecken – eben die Programme in den Barrios. Aber es fehlen qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze, damit die Menschen aus ihrem Elend herauskommen. ZB wird ein fehlen der Landwirtschaft regelmäßig sichtbar. Wie berichtet ist während unserem Monat in Venezuela mindestens dreimal für mehrere Tage die Milchversorgung abgebrochen. Und das dürfte, wie uns immer wieder Menschen berichtet haben, keine Ausnahme gewesen sein. Soetwas darf in einem prinzipiell reichen Land wie Venezuela nicht passieren.

Ãœber den Zustand der Arbeiterbewegung traue ich mir nicht wirklich eine Einschätzung zu treffen. Es scheint je nach Region in der man sich gerade aufhält unterschiedlich starke Einflüsse der unterschiedlichen “Strömungen” zu geben. In den Industriegebieten und den großen Erdölraffinierien scheinen die KollegInnen der C-Cura (mit denen wir uns ja öfter getroffen haben) gut verankert zu sein. Inwieweit die Verankerung allerdings über die großen Industriebetriebe hinaus reicht, bzw. ob es in denen überhaupt Gewerkschaften gibt, die den Namen verdienen, ist mir nicht klar.

Was die Frage der Linken betrifft, scheint deren Zerstrittenheit bzw. deren Nichtverankerung in den Barrios vorallem Chaves in die Hände zu spielen. Die Linke scheint durchaus bunt zu sein und was ich mitbekommen habe reicht sie von KommunistInnen (mit Chavez) über Ex-KommunistInnen (gegen Chaves und zum Teil mit der Opposition) über TrotzkistInnen (wieder mit und gegen Chavez – aber diesmal auch gegen die Opposition) über LinkschavistInnen und MaoistInnen bis hin zu Guevaristischen Stadtguerilieros und Autonomen mit Barriobezug. Die unterschiedlichen Strömungen sind dann je nach regionaler Stärke auch in den Gewerkschaften vertreten. Offensichtlich glauben alle dogmatisch, den richtigen Weg gefunden zu haben. Was ich gesehen habe scheint keine dieser Gruppen, Parteien und Strömungen alleine auch nur im entferntesten stark genug, eine echte Alternative zum Chavismus aufzubauen und von einer strukturieren Zusammenarbeit habe ich zumindest nichts gesehen.

Nach einem Monat Venezuela und einer “Nachdenkpause” wieder daheim, stelle ich für mich fest, dass ich im Chavismus ein zum Scheitern verurteiltes Experiment sehe. Obwohl ich hoffe, dass ich mich da ordentlich täusche!

Was die nächsten Monate und eine mögliche Solidaritätsarbeit mit den KollegInnen vor Ort bringen wird, kann ich noch nicht sagen. Wir haben es jedenfalls noch vor Ort angedacht und zu tun gäb es auch an Unterstützung auf betrieblicher Ebene genug.

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