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Versuch einer abschließenden Betrachtung

Da ich schon seit knapp einem Monat wieder in Österreich bin, scheint mir jetzt ein guter Zeitpunkt mit einigem Abstand nochmal einen Blick auf mein Erlebtes in Venezuela zu legen und somit den Blog vorläufig auch abzuschließen.

 Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass ich mit zu hohen Erwartungen an die “Bolivarische Revolution” nach Venezuela gereist bin. Mir war zwar klar, dass dort kein Sozialismus herrscht – was immer das auch sein soll – aber ich hab doch an die vielen Berichte und Geschichten geglaubt, wonach ein großer Teil der Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand genommen hätte und auf gutem Weg wäre, die Verhältnisse und Lebensbedingungen selbständig zum Besseren zu ändern.

Nun ja, nach meiner Einschätzung trifft genau das nur sehr begrenzt zu. Ein Teil der Bevölkerung – ein für mich unerwartet großer Mittelstand – lebt relativ gut. Ich würde die Lebensbedingungen durchaus wenn auch mit Abstrichen mit dem “Mittelstand” bei uns vergleichen. Also Wohnung oder kleines Häuschen, fixen Job als Angestellte/r, FacharbeiterIn (in der Industrie) oder Selbständige/r, eigenes Auto, PC, Internet und wie man sich das bei uns halt auch vorstellt. Allerdings ist das in Venezuela eben ein kleiner Teil der Bevölkerung, während der Großteil der Menschen relativ arm ist. Also die Lebenshaltungskosten für den so genannten Mittelstand werden ein bisschen niedriger sein als bei uns, zB: Essen, oder auf ein Bier gehen, kostet fast soviel wie in Österreich. Öffentlicher Verkehr ist dagegen billiger. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt allerdings nur rund 190 Euro pro Monat. Und der wird oft durch “atypische Beschäftigung” also Menschen die keinen Arbeitsvertrag haben unterlaufen.

Wenn man jetzt bedenkt, dass Venezuela ein Dritte Welt Land ist, dass im großen und ganzen hauptsächlich vom Erdöl lebt, kann man sich vorstellen, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der irgendwas zwischen 1.000 und 2.000 Euro im Monat verdient – die würd ich jetzt durchaus großzügig und zum Mittelstand zählen. Ãœber die Lebenssituation in den Barrios (also den Armensiedlungen) kann ich leider nichts konkretes berichten, weil wirs nicht geschafft haben, in eines reinzukommen. Alles was ich berichten kann, ist hörensagen: große Gewalt; Armut; staatliche Versuche, die Grundversorgung an Ernährung, Gesundheit, Frisch- und Abswasser herzustellen und Alphabetisierungsprogramme zu starten.

Was wir nicht gesehen haben, waren Versuche, Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie, neuen Industrien oder anderen Bereichen zu schaffen. Mit einer Ausnahme. Der staatlichen Verwaltung. Mir scheint, dass versucht wird, den Großteil des Geldes, dass durch das Erdöl verdient wird, in eine Art karitative Maßnahmen zu stecken – eben die Programme in den Barrios. Aber es fehlen qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze, damit die Menschen aus ihrem Elend herauskommen. ZB wird ein fehlen der Landwirtschaft regelmäßig sichtbar. Wie berichtet ist während unserem Monat in Venezuela mindestens dreimal für mehrere Tage die Milchversorgung abgebrochen. Und das dürfte, wie uns immer wieder Menschen berichtet haben, keine Ausnahme gewesen sein. Soetwas darf in einem prinzipiell reichen Land wie Venezuela nicht passieren.

Ãœber den Zustand der Arbeiterbewegung traue ich mir nicht wirklich eine Einschätzung zu treffen. Es scheint je nach Region in der man sich gerade aufhält unterschiedlich starke Einflüsse der unterschiedlichen “Strömungen” zu geben. In den Industriegebieten und den großen Erdölraffinierien scheinen die KollegInnen der C-Cura (mit denen wir uns ja öfter getroffen haben) gut verankert zu sein. Inwieweit die Verankerung allerdings über die großen Industriebetriebe hinaus reicht, bzw. ob es in denen überhaupt Gewerkschaften gibt, die den Namen verdienen, ist mir nicht klar.

Was die Frage der Linken betrifft, scheint deren Zerstrittenheit bzw. deren Nichtverankerung in den Barrios vorallem Chaves in die Hände zu spielen. Die Linke scheint durchaus bunt zu sein und was ich mitbekommen habe reicht sie von KommunistInnen (mit Chavez) über Ex-KommunistInnen (gegen Chaves und zum Teil mit der Opposition) über TrotzkistInnen (wieder mit und gegen Chavez – aber diesmal auch gegen die Opposition) über LinkschavistInnen und MaoistInnen bis hin zu Guevaristischen Stadtguerilieros und Autonomen mit Barriobezug. Die unterschiedlichen Strömungen sind dann je nach regionaler Stärke auch in den Gewerkschaften vertreten. Offensichtlich glauben alle dogmatisch, den richtigen Weg gefunden zu haben. Was ich gesehen habe scheint keine dieser Gruppen, Parteien und Strömungen alleine auch nur im entferntesten stark genug, eine echte Alternative zum Chavismus aufzubauen und von einer strukturieren Zusammenarbeit habe ich zumindest nichts gesehen.

Nach einem Monat Venezuela und einer “Nachdenkpause” wieder daheim, stelle ich für mich fest, dass ich im Chavismus ein zum Scheitern verurteiltes Experiment sehe. Obwohl ich hoffe, dass ich mich da ordentlich täusche!

Was die nächsten Monate und eine mögliche Solidaritätsarbeit mit den KollegInnen vor Ort bringen wird, kann ich noch nicht sagen. Wir haben es jedenfalls noch vor Ort angedacht und zu tun gäb es auch an Unterstützung auf betrieblicher Ebene genug.

Mittwoch, 27. Februar

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Wir sind recht zeitig aufgestanden um von Maracay mit dem Bus nach Carracas zu fahren. Die Busfahrt hat dann doch eine Stunde laenger gedauert, als geplant (wobei das Busfahren hier schon ein ganz eigenes Erlebnis ist).

Mit dem Taxi sind wir dann ins Hotel Altamira (woch ich schon am ersten Tag meines Venezuelaaufenthaltes war), haben die Rucksaecke abgestellt und sind zur Uni, wo die Demo der Kommunalraete haette starten sollen.

Weil wirs aus Oesterreich so gewohnt sind, sind wir dann auch zu spaet zum Startpunkt der Demo gekommen – die war aber da schon weg. Wir haben dann aber ein paar Leute gefunden, die uns sagen konnten, wo die naechste Zwischenstation war und dort haben wir sie dann auch gefunden – die Demo. Zur Demo selber haben hauptsaechlich linkschavistische Gruppen aufgerufen und die Demo war eine Erinnerung an einen Barrioaufstand vor 19 Jahren, den die Polizei niedergeschlagen hat.

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Die Regierung selber (und somit auch die PSUV) haben nicht zur Demo aufgerufen. Dementsprechend waren es dann rund 1.500 Menschen, mit denen wir mehrere Stunden durch die Innenstadt von Carracas gezogen sind. Eine der Hauptlosungen war die Forderung nach einem Ende der Buerokratisierung und der Fortfuehrung des revolutionaeren Prozesses.

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Wir haben viele – hoffentlich gute – Fotos von der Demo, die in einer guten Stimmung verlaufen ist. Das war dann wahrscheinlich der letzte Bericht vor meiner abschliessenden Analyse meiner Reise – aber die kommt ja erst in Wien (ebenso wie die Fotos).

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Dienstag, 26. Februar

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Gestern Nachmittag gings von unserer Touristenmetropole ins fuenf Stunden (allerdings mit dem Bus und zweimaligem Umsteigen) entfernte Maracay. Wieder mal bin ich recht froh, dass wir umgezogen sind. So nett unsere Posada auch war, es gab nur kaltes Wasser und der Posadabesitzer war mit dem Nachbarn zerstritten: Weswegen der den ganzen Sonntag und am Montag bis 4 Uhr in der Frueh eine Musikanlage auf die Strasse gestellt und uns permanent beschallt hat.

In Maracay haben wir ein recht nettes Hotel bekommen, und haben gleich mal fuer zwei Naechte eingecheckt. Der Streik in SIDOR – das Stahlwerk am anderen Ende von Venezuela – hat immer noch nicht angefangen, weswegen wir die Reise dorthin jetzt endgueltig abgeblasen haben (schoen langsam ginge sich nicht mal mehr der Inlandsflug so aus, dass ich wieder rechtzeitig zur Abreise in Carracas bin).

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Heute frueh sind wir dann mit einem Genossen vor Ort in eine seit Jahren besetzte und unter Selbstverwaltung produzierende Sanitaerwarenfabrik – Sanitarios Maracay – gefahren. Inzwischen arbeiten dort nur noch 60 KollegInnen und versuchen selbstaendig die Produktion aufrecht zu erhalten und die erzeugten WC Deckel zu verkaufen (bis vor kurzem haben sie auch noch die Klos selber erzeugt, aber das haben sie jetzt aufgegeben).  Obwohl die KollegInnen dort von 150 Bolivares Fuerte in der Woche leben (was grad mal ca. 40 Euro sind) strahlen sie eine positive und auch stolze Stimmung aus, die bei der beschissenen Situation kaum vorstellbar ist. Wir haben uns lange mit ihnen unterhalten, den Organisationssekretaer der Betriebsgewerkschaft (die das Werk ja auch “fuehrt”) interviewt und sie haben dann auch noch ihr Mittagessen mit uns geteilt.

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Es ist echt beeindruckend wie die KollegInnen trotz widrigster Umstaende weiterhin das Fabriksgelaende besetzt halten und in Eigenregie produzieren. Und die Umstaende sind echt scheisse, weil sie auch keinen Grosshaendler fuer ihre Waren (Klodeckel und das Zeugs dazu) finden, weil sie ja illegal die Fabrik besetzen und deshalb schwer eine Rechnung ausstellen koennen. Gleichzeitig muessen sie sich noch mit Klagen der Regierung und dem ehem. Besitzer herumschlagen, weil das ja alles illegal ist, was sie machen – auch wenn sie nichts anderes tun, als sich und ihre Familien zu ernaehren zu versuchen.

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Bei uns gehts so weiter, dass wir am Nachmittag eher relaxen und die Stadt anschauen und morgen nach Carracas auf eine Demo der “Barrioselbstverwaltungen” gehen. Irgendwann morgen oder uebermorgen sollte dann auch noch unser Interview mit dem Orlando Chirinho in den Kasten (wieder der Film ueber die C-CURA) und dann bin ich quasi eh schon am Heimweg. Wenn ichs richtig im Kopf hab, komm ich am Freitag so gegen 12.30 bzw. 13 Uhr in Wien an.

Fotos und eine Einschaetzung von mir ueber die Situation im Land folgen dann wahrscheinlich von Wien aus – wobei ich mit der Einschaetzung schon hier mal fuer mich anfangen moechte. Fuer Solidaritaetsarbeit auf einer kleinen Ebene der diversen Betriebskonflikte waer meiner Einschaetzung nach schon viel Potenzial da – weil die Konflikte gibts regelmaessig (siehe die Gschichte mit den fuenf Frauen oder Sanitarios Maracay).

Fotoproblem

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Bitte nicht wundern, wenn ich bei den letzten Posts fast keine Fotos dazu gegeben hab. Erstens wars mir ein Anliegen, mit dem Blog inhaltlich wieder auf die zeitlich aktuell zu werden, andererseits hab ich bei unserer Abreise in Porto La Cruz meinen Card Reader mit der Speicherkarte mit den meisten Fotos angebaut. Was eigentlich nicht so tragisch ist, weil sowohl die Kathrin als auch die Anna immer parallel fotografiert haben -und ich ja ausserdem noch analog Fotos mach.

Seit zwei Tagen versuche ich jetzt, Fotos von der Anna, die ich schon auf CD hab, in den Blog einzupassen, leider gelingts mir aufgrund der Ausstattung des eigentlich recht guten Internetcafes hier in Cicerivice (oder wie auch immer das Nest heisst) nicht.

Freitag, 22. Februar

Am Freitag Vormittag sind wir dann gleich in der Frueh in die Zentrale der UNT in Valencia gefahren. Dort haben wir uns mit Chirinho und Stalin getroffen. Fuer den schon an frueherer Stelle erwaehnten Film haben wir dann Stalin (mit einem Schwerpunkt auf die Spaltung der C-CURA) und einen “alten Hasen” der Gewerkschaftsbewegung von Carabobo – Antonio Moguollon – interviewt.

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Im Anschluss haben wir zufaellig noch 5 junge Frauen getroffen, die auf der Veranstaltung am 20. in Carracas Geld gesammelt haben. Die haben uns dann ihre Geschichte erzaehlt:

Sie haben in einem Betrieb mit ca. 500 Beschaeftigten, der Ventilatoren herstellt, gearbeitet. Im Rahmen eines Konfliktes um den Kollektivvertrages wurden 49 Personen, die sich am aktivsten engagierten gekuendigt. Die beiden Gewerkschaften im Betrieb (eine gelbe und eine, die sich kaufen hat lassen) helfen den 49 Gekuendigten nicht. Von den 49 sind noch 9 uebrig, die fuer eine Wiedereinstellung kaempfen wollen. Um sich das finanziell “leisten zu koennen” gehen sie einmal die Woche alle Fabriken von Valencia ab und bitten die KollegInnen um Geld (was sie auch auf der Veranstaltung am 20. in Carracas taten). Die beiden Gewerkschaften im Betrieb unterstuetzen sie nicht und das zustaendige Arbeitsministerium will nicht wirklich schnell entscheiden. Weswegen sie jetzt eben einen Termin mit Orlando Chirinho haben um mit ihm die Situation zu besprechen. Die Frauen geben uns spontan ein Interview und Chirinho raet ihnen, einen Solidaritaetsstreik von ausserhalb des Werkes aus zu organisieren (was zwar schwer ist, aber nicht unmoeglich). Die Frauen waren auch schon letzte Woche mit Transparenten vor dem Betrieb, woraus ein Grossteil der Beschaeftigten Spontan rauskam um sich zu informieren. Sollte ich etwas neues erfahren, werde ich natuerlich auf dem laufenden halten.

Die weitere Planung

Nachdem ich jetzt endlich mit dem Blog mal aktuell bin, werde ich versuchen, in die letzten Postings noch Fotos einzufuegen, wozu ich ein wenig Zeit haben sollte, weil wir gerade drei Tage in am Meer relaxen (ich glaub, die Stadt heisst irgendwie wie Chicheriwiche). Jedenfalls ists hier super, weil das Internetz schnell und das Meer nahe ist.

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Am Montag entscheidet sich dann, was wir naechste Woche machen. Wenn am Montag in Stahlwerk SIDOR, das ist am anderen Ende von Venezuela (also 10 Stunden im Bur) der unbefristete Streik losgeht, werden wir mit den GewerkschafterInnen aus Carabobo dorthin aufbrechen und erst am Donnerstag wieder nach Carracas zurueckkommen. Das waere fuer mich dann eh schon der Tag des Abfluges. Wird nicht gestreikt werden wir den besetzten Betrieb Sanitarios Maracay besuchen und uns noch mit ein paar Menschen Treffen. Die anderen haben fuer Donnerstag Abend noch in einen Termin in einem Barrio, bei einer speziellen Radiosendung.

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Donnerstag, 21. Februar

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Nachdem wir uns am Donnerstag ausgeschlafen haben (und ich mit einem Durchfall ein bissl laediert war) sind wir mit einem oeffentlichen Bus von Carracas nach Valencia (im Industrie-Bundesstaat Carabobo) gefahren. Das Bussystem ist ein bissl absurd, weil es zwar sowas wie eine geplante Abfahrtszeit gibt, allerding gewartet wird, bis der Bus voll ist – erst wenn am letzten Platz wer sitzt, wird gefahren. Die Abfahrt hat sich dann noch ein bissl verzoegert, weil ein Pensionist mit einem Halbpreisausweis rausgeschmissen wurde, weil er keine Kopie des Ausweises mitgehabt hat. Das hat dann zu einer Streiterei der Mitreisenden gefuehrt, ob man so absurde Gesetze wie das, dass man eine Kopie des Halbpreisausweises benoetigt um tatsaechlich nur den halben Preis zu bezahlen, einhalten sollte.

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Ich bin recht froh, dass wir aus dem Hotel im Zentrum von Carracas raus sind. Das Zentrum ist eigentlich recht nett, das Hotelzimmer hatte nur kein Fenster sondern nur einen “Ausguck” in einen extrem dunklen und kleinen Lichtschacht. In der ersten Nacht haben wir allerdings ueberhaupt nur ein Zimmer mit Whirlpool (das um einiges teurer war, und vermutlich auch stuendlich gemietet werden konnte) bekommen.

In Valencia angekommen, sind wir am Abend noch zur Geburtstagsfeier mit der Frau vom Stalin gefahren (der ja eigentlich aus Valencia kommt) und haben dann in einem kleinen Hotel uebernachtet.

Mittwoch, 20. Februar

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Am 20. Februar um 11 Uhr (also real mit zwei Stunden Verspaetung) fand eine Veranstaltung der C-CURA zur Rettung der Erdoelindustrie und zur Wiedereinstellung von Orlando Chirinho statt. Die Veranstaltung war im wesentlichen Vergleichbar mit einer BetriebsraetInnenkonferenz. Teilgenommen haben rund 250 ArbeiterInnen aus rund 150 bis 180 Betriebsgewerkschaften Venezuelas. Die Stimmung war extrem kaempferisch und wie bei uns eher nicht so ueblich kamen die GewerkschafterInnen teilweise mit Firmenpoloshirts. VertreterInnen der Grossbetriebe SIDOR, Alcassa, PDVSA (der staatliche Erdoelkonzern), Sanitarios Maracai (ein seit langem besetzter Betrieb), vom groessten Venezonlanischen Hafen, von beiden grossen Erdoelraffinerien, Pepsi Cola, etc. und natuerlich die wichtigsten Sekretaere der UNT.

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Beschlossen wurde unter anderem, dass die Besetzung des Arbeitsministeriums vorbereitet werden soll bzw die Forderung nach einer Verstaatlicheung dcer Industrie und im speziellen der Erdoelindustrie (die im Augenblick teilstaatlich und ueber Joint Ventures mit diversen Multis geteilt wird)

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Nach meiner Einschaetzung ueber die Stimmung, scheint Orlando Chirinho der uneingeschraenkte “Gewerkschaftsfuehrer” der IndustriearbeiterInnen Venezuelas (und bei der Veranstaltung waren nicht nur Chirinho loyale Leute dabei, sondern eine bunte Mischung).

Die Veranstalter waren mit der Anzahl und den TeilnehmerInnen ueberrascht:

  • ein bekannter linkschavistischer Barriofuehrer ist spontan aufgetaucht und hat seine Kritik an der Regierung und seine Solidaritaet mit Chirinho bekundet
  • ein aus der PSUV ausgeschlossener Parlamentsabgeordneter (er hat in der oeffentlich Korruption in einem Ministerium angekuendigt, worauf er von Chavez persoenlich ausgeschlossen wurde) ist gekommen, hat die korrupte Buerokratie kritisiert und auch Chirinho seine Solidaritaet ausgedrueckt.

Das Ende der Veranstaltung war ziemlich chaotisch, weil sie sich aufgrund der Laenge im Sand verlaufen hat – einige TeilnehmerInnen hatten dann doch eine ueber 6stuendige Heimreise.

Dienstag, 19. Februar – Nachmittag

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Am Dienstag Nachmittag haben wir uns mit Stalin Perez Borghes getroffen. Einigen ist er vielleicht ein Begriff, weil er vor zwei Jahren schon in Wien war. Der Stalin ist einer der nationalen Koordinatoren der UNT (das ist der eh schon erwaehnte Gewerkschaftsdachverband). Stalin war einer der wesentlichen Gewerkschaftsfuehrer der C-CURA und deren Vorsitzender im staerksten Industriebundesstaat Carabobo. Ueber den Konflikt um die Gruendung der PSUV und das Verfassungsreferendum hat sich die C-CURA dann gespalten in einen Teil der noch die alte C-CURA ist und eine politische Stroemung innerhalb der PSUV, der sich Marea Socialista nennt. Das “Projekt” Marea Socialista macht Stalin mit anderen Linkschavisten wie dem ebenfalls manchen in Wien bekannten Rubens Linares.

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Was bei unserem Gespraech mit dem Stalin rauskommt, ist, dass beide ehem. Teile der C-CURA ziemlich zerstritten sind, allerdings ist es schon so, dass die Menschen immer noch miteinander reden. Stalin glaubt, dass sich Venezuela gerade in der tiefsten Krise des Chavismus befindet, allerdings ebenso in der tiefsten Krise der ArbeiterInnenbewegung – eben aufgrund der Spaltung der C-CURA. Stalin gesteht auch ein, dass alles was Orlando Chrinio (der “Fuehrer” des anderen Teils der C-CURA) sagt inhaltlich richtig ist, ihn allerdings die Art , wie er seine Kritik am Chavismus vorbringt fuer viele in der Wahrnehmung als Rechten erscheinen laesst. Stalin stimmt mit Miguel Angel ueberein, dass die PSUV den grossteil ihrer Basis in den Barrios hat und das die PSUV nur ca. 700.000 Mitglieder hat. In der PSUV selbst, sieht Stalin eine grosse Unzufriedenheit gegenueber der Regierungspolitik und das Potential, dass sich die kritischen Kraefte in ihr sammeln und organisieren. Er beziffert die unzufriedenen linken mit ca. einem Drittel der PSUV.

Zur Rettung des revolutionaeren Projekts in Venezuela sieht Stalin zwei Moeglichkeiten:

  • eine perspektivische Spaltung der PSUV mit einem relativ starken linken Fluegel
  • eine grosse Streikbewegung, die den revolutionaeren Prozess wieder in Bewegung bringt (meiner Einschaetzung nach, kann diese Streikbewegung tatsaechlich kommen, wenn der unbefristete Streik im groessten venezolanischen Stahlwerk SIDOR kommenden Montag tatsaechlich startet (doch dazu spaeter mehr), denn die Situation auch unter den organisierten ArbeiterInnen ist mehr als unzufriedenstellend.

Stalin gesteht ein, dass der Chavismus soziale Errungenschaften gebracht hat, allerdings hat Chavez auf halbem Weg begonnen, sich als Koenig der Karibik zu fuehlen und ist als Weltrevolutionaer spazierengefahren, waehrend sich die Krise im eigenen Land verschaerft hat – hier verweist er auf die von mir schon beschriebene Lebensmittelknappheit und die Problematische Sicherheitslage. Hier muss ich mich verbessern: Die Aussage mit dem Koenig der Karibik kommt nicht von Stalin selbst, sondern er nennt sie uns nur als ein Beispiel, mit welcher Kritik an Chavez er immer wieder konfrontiert wird.

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Von der aktuellen Regierung erwartet er sich keine Linksschwenk, allerdings warnt er auch, dass wenn Chavez stuerzt, die alten Machteliten schon warten; die Macht selbst aber nur mit Gewalt und Militaer ausueben koennten. Was die Situation in der PSUV so problematisch macht, ist, dass sich immer bei internen Konflikten die Regierungsbuerokratie (und der Ausdruck ist meiner Einschaetzung nach hier durchaus angebracht, auch wenn das ueblicherweise nicht meine Ausdrucksweise ist – denn dieses Land erscheint mir sehr verbuerokratisiert) gegen die Basis durchsetzt.

Am Abend warma dann noch im Stalin seiner neuen Wohnung in Carracas mit ihm ein paar Bier heben!

Dienstag, 19. Februar – Vormittag

Wir sind in Carracas “gelandet” und haben einige anstrengende aber interessante politische Termine vor uns. Gleich am Dienstag Vormittag treffen wir uns auf der Uni von Carracas mit dem Miguel Angel Hernandes (Dozent am Institut fuer Soziologie und Theoretiker der C-CURA).

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Bevor ich schreibe, was uns der Miguel Angel alles erzaehlt hat, hier ein kleiner Ausflug in der ArbeiterInnenbewegung Venezuelas:

Bis vor ca. 10 Jahren (mich bitte hier nicht genau festnageln) haben ueberwiegend Sozialdemokratische Gewerkschaften dominiert. Wobei, das was hier sozialdemokratisch ist, schon was anderes wie bei uns ist. Ueberwiegend haben sich diese Gewerkschaften (hier gibts Betriebsgewerkschaften) mit den Arbeitgebern arrangiert/sich kaufen lassen/ bzw halt einfach Arbeitgeberpositionen vertreten – hier wirds sicher Abstufungen geben, aber im grossen und ganzen duerfte es das treffen. Seit eben 10 Jahren oder mehr haben diverse Linke Gewerkschaften in den Betrieben die “Macht uebernommen” und einen neuen Gewerkschaftsdachverband UNT gegruendet. In diesem Dachverband gibt es aber auch einen relativ starken christlichen Fluegel, der sich auch aus dem alten Dachverbant CTV verabschiedet hat. Die C-CURA, zu der wir hier Kontakte haben, ist ueberwiegend trotzkistisch und teilweise linkschavistisch (gerade das Verhaeltnis zur neue gegruendeten Linkspartei von Chavez – PSUV – ist fuer die aktuelle Spaltung in der C-CURA verantwortlich). Fuer alle Kritiker des Trotzkismus sei hier erklaert, dass es sich bei der C-CURA allerdings nicht wie bei uns um eine kleine “Minisekte” handelt (meine Freunde der radikalen Linken moegen mir diesen Ausdruck verzeihen) sondern um einen grossen gewerkschaftlichen Verband (davon hab ich mich selber ueberzeugen koennen) der in wesentlichen Industriebetrieben des Landes die Gewerkschaftsvorsitzenden stellt und die Gewerkschaftspolitik in Venezuela wesentlich praegt.

Doch wieder zurueck zum Miguel Angel:

Teile der C-CURA bereiten gerade die Gruendung einer neuen ArbeiterInnenpartei vor. Da so eine landesweite Parteigruendung gesetzlich allerdings recht aufwaendig ist, starten sie in 5 Bundesstaaten mit der Gruendung regionaler ArbeiterInnenparteien. Ein bissl absurd ist das hier gesetzlich allerdings schon, weil sowohl die Verwendung des Titels “Arbeiter” in einem Parteinamen verboten ist, als auch eine grosse Anzahl von Unterschriften aus allen Bundesstaaten fuer eine Parteigruendung notwendig sind. Der Miguel Angel schaetzt, dass die Parteigruendung in den 5 Staaten relativ glatt vor sich gehen wird und dass die Partei auch tatsaechlich eine Basis hat. Er erzaehlt, dass auch viele KollegInnen der C-CURA PSUV Mitglied sind, allerdings meistens, damit sie im Job (im staatlichen Bereich und in der Erdoelindustrie) keine Wickel bekommen. Die reale Anzahl an aktiven PSUV Mitgliedern schaetzt er auf 1 Million (ueber 5 Millionen haben sich als MG eingeschrieben). Laut dem Miguel Angel hat die C-CURA ihre Verankerung in der traditionellen Arbeiterklasse (also den IndustriearbeiterInnen), waehrend die Basis von Chaves (und somit auch der PSUV) das Barrio ist. Die Regierung versucht das aktuell gerade zu aendern, indem es wichtige Ministerposten mit Linkschavisten, die aus der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung kommen, besetzt (zum Beispiel ist der Arbeitsminister ein Chavez loyaler Trotzkist).

Absurdes

  • Im Nobeleinkaufszentrum (in dem wir schon am Anfang unserer Reise in Carracas waren) ist jetzt auch die Milch ausgegangen. Nachdem wir dorthin Geld abheben gefahren sind, wollten wir in einem Lokal namens Cafe Memphis einen Kaffee trinken und wurden drauf hingewiesen, dass es fast alles ausser Kaffee gaebe. Den halt nicht, weil sie keine Milch haben – also: die Lebensmittelkrise haelt an.
  • In der Bank in der wir unser Geld abgehoben haben (eben in besagtem Nobeleinkaufszentrum) muss man sich erst mal wie beim Arzt eine Nummer ziehen (das ist in allen Banken hier so) und dann sind ihnen beim Lukas die 100 Bolivares Fuerte Scheine (30 Euro und hoechster Gelschein) ausgegangen, so dass sie dem Lukas seine 300 Euro in 20 BF Scheine geben mussten (20 BF sind ca. 6 Euro).

Zwischeneindruecke

Die von mir jetzt hier veroeffentlichen Zwischeneindruecke sind jetzt mal das, was bei mir so die letzten Tage – bis zu diesem Post haengengeblieben ist. Die sind mit den anderen nicht abgesprochen und werden sich in manchen oder auch vielen Bereichen sicher wiedersprechen.

  • beide Taxler, mit denen wir die grossen Strecken gefahren sind, haben von sich aus ueber die Gewerkschaften zu schimpfen begonnen, weil diese Jobs verkaufen (jede/r die/der in einem Job anfaengt, muss zwischen ein bis drei Monatsgehaelter an korrupte Gewerkschaftsvertreter abtreten). Die C-CURA hat nach Aussage vom Lukas, der sich da wirklich gut auskennt, viele Probleme mit den “alten” Gewerkschaften bekommen, weil sie von der Praxis abgegangen sind – ua eben auch das Anzuenden ihres Bueros in Puerto La Cruz.
  • Wer irgendwie kann, baut sich um sein Haus (gerade am Land ist das “Einfamilienhaus” (allerdings nicht so, wie wir es kennen) einen Zaun, einen Kaefig (so absurd das kling) oder eine Mauer. Die Steigerung ist der erwaehnte Wassergraben der Reichensiedlung in Puerto La Cruz.
  • Die Lebensmittelknappheit in Venezuela haelt weiterhin an. In ganz Santa Fe gabs keine Milch und selbst im Nobelsupermarkt in Puerto La Cruz mussten sie Zettel aufhaengen, das es keine Milch gibt.
  • Sowohl tiefste Armut als auch immenser Reichtum sind auf engstem Raum. Wobei die Reichen auch kein Problem damit haben, ihren Reichtum offen zur Schau zu stellen – mit der Motorjacht 500 Meter durch den Kanal zum Einkaufszentrum auf einen Kaffee.
  • Die Reichen haben sich ganze Stadtviertel geschaffen, die nur mit Berechtigung betreten werden duerfen. Es gibt Einfahrtsschranken mit Wachpersonal, Patroullien, Zauene, Mauern (Kanaele) die die Armen aussperren.
  • Auch der “staedtische Mittelstand” verbarrikadiert sich in seinen Wohnsiedlungen. Kein groesserer Wohnkomplex mit einer Unmenge Stacheldraht und Wachleuten.
  • Mir scheint – sehr vereinfacht – dass es vier verschiedene Arten von “Arbeit” gibt, die sich alle ueberschneiden – ich schreib hier mal nur ueber die Menschen, die mann traditionell (oder auch nicht ganz so traditionell) als “Arbeiterklasse” bezeichnen wuerde (den Rest kann ich nicht einschaetzen):1) Menschen die in gut organisierten Bereichen Beschaeftigt sind (wissen tu ich, dass das in der Industrie so ist – keine Ahnung wie das bei Banken und so ausschaut, vorstellen koennte ich mir das schon)
    2) Menshen, die in Bereichen beschaeftigt sind, die gewerkschaftlich nicht gut oder ueberhaupt nicht organisiert sind. Hier wuerde mir der Handel, aber auch das Putz- bzw. Wachpersonal beispielhaft einfallen.
    3) Menschen ohne “klassische” Beschaeftigung, die aber eine fixe Arbeitszeit und ein fixes Einkommen haben. Hier gibt es mit Sicherheit grosse Ueberschneidungen mit der Gruppe, die ich unter 2) geschrieben habe. Beispielsweise sind das die verschiedenen Nachtwaechter in unseren Hotels und Posadas, das Putzpersonal, wo es nicht angestellt ist, Beschaeftigte in kleineren Unternehmen, etc.
    4) Menschen die ueberhaupt nicht planen koennen, wie viel sie am Tag/im Monat verdienen. Hier gehts einerseits um Strassenverkauefer (vom Fruchtsaft bis zur Sonnenbrille), Busverkauefer (in den oeffentlichen Bussen steigen vor der Abfahrt Menschen ein, die Zeitungen und Suessigkeiten verkaufen) bis hin zu Taxifahrern, die 80 BF (25 Euro) pro Tag fuers gemietete Taxi zahlen muessen.
  • Nach allem was man von den VenezolanerInnen hoert, duerfte sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren verschlechtert haben:
    – Die Strandlokale in Santa Fe sperren um 22 Uhr zu und danach wird man aufgefordert, in den bewachten Bereich der Posada zu gehen
    – ein ehem. Fischhaendler hat uns erzaehlt, dass er nicht mehr in seinem Job arbeiten kann, weil er sich das Schutzgeld fuer eine Bande in Santa Fe nicht mehr leisten kann – jetzt faehrt er Taxi
    – Die Nationalgarde “geht” regelm. in Barrios und “befriedet” diese (wobei das Befrieden mehr die Eigendefinition sein duerfte und die halt die Bandenmitglieder (und zufaellig dazwischenkommende Menschen) erschiessen.
  • Es ist extrem muehsam, bis die GenossInnen hier greifbar sind. Es schein nicht moeglich sein, sich am Telefon was fixes auszumachen, dass dann auch eingehalten wird.
  • Fuer ein flaechenmaessig so grosses Land wie Venezuela scheint extrem wenig Flaeche landwirtschaftlich genutzt zu werden (und ein bisschen sind wir mit dem Bus ja auch herumgekommen). Wenn man jetzt von der regelmaessigen Lebensmittelknappheit weiss, ist das umso absurder.
  • Von einer politischen Diskussion auf der Strasse/in den Lokalen oder so was wie einer “revolutionaeren” Aufbruchstimmung ist nichts zu bemerken. Selbst die aktuellen Graffittis reduzieren sich auf das Referendum, dass jetzt schon einige Zeit her ist und sind symptomatisch mit “Si con Chavez” oder einem schlichten “no”. Am ehesten hat man das Gefuehl, dass sich das Fernsehen mit Sozialismus beschaeftigt, was dann aber eher den oberlehrerhaften Charakter einiger Politfunktionaere oder vom Chavez selber hat.
  • Gewerkschaftliche Organisierung spielt sich (soweit ich das bisher mitbekommen hab) einzig und allein um den traditionellen Bereich der IndustriearbeiterInnen ab. Wenn venezolanische GenossInnen von der Arbeiterklasse reden (und das tun sie oft) habe ich den Eindruck, dass sie nur diesen kleinen Ausschnitt meinen.