Zwischeneindruecke

Die von mir jetzt hier veroeffentlichen Zwischeneindruecke sind jetzt mal das, was bei mir so die letzten Tage – bis zu diesem Post haengengeblieben ist. Die sind mit den anderen nicht abgesprochen und werden sich in manchen oder auch vielen Bereichen sicher wiedersprechen.

  • beide Taxler, mit denen wir die grossen Strecken gefahren sind, haben von sich aus ueber die Gewerkschaften zu schimpfen begonnen, weil diese Jobs verkaufen (jede/r die/der in einem Job anfaengt, muss zwischen ein bis drei Monatsgehaelter an korrupte Gewerkschaftsvertreter abtreten). Die C-CURA hat nach Aussage vom Lukas, der sich da wirklich gut auskennt, viele Probleme mit den “alten” Gewerkschaften bekommen, weil sie von der Praxis abgegangen sind – ua eben auch das Anzuenden ihres Bueros in Puerto La Cruz.
  • Wer irgendwie kann, baut sich um sein Haus (gerade am Land ist das “Einfamilienhaus” (allerdings nicht so, wie wir es kennen) einen Zaun, einen Kaefig (so absurd das kling) oder eine Mauer. Die Steigerung ist der erwaehnte Wassergraben der Reichensiedlung in Puerto La Cruz.
  • Die Lebensmittelknappheit in Venezuela haelt weiterhin an. In ganz Santa Fe gabs keine Milch und selbst im Nobelsupermarkt in Puerto La Cruz mussten sie Zettel aufhaengen, das es keine Milch gibt.
  • Sowohl tiefste Armut als auch immenser Reichtum sind auf engstem Raum. Wobei die Reichen auch kein Problem damit haben, ihren Reichtum offen zur Schau zu stellen – mit der Motorjacht 500 Meter durch den Kanal zum Einkaufszentrum auf einen Kaffee.
  • Die Reichen haben sich ganze Stadtviertel geschaffen, die nur mit Berechtigung betreten werden duerfen. Es gibt Einfahrtsschranken mit Wachpersonal, Patroullien, Zauene, Mauern (Kanaele) die die Armen aussperren.
  • Auch der “staedtische Mittelstand” verbarrikadiert sich in seinen Wohnsiedlungen. Kein groesserer Wohnkomplex mit einer Unmenge Stacheldraht und Wachleuten.
  • Mir scheint – sehr vereinfacht – dass es vier verschiedene Arten von “Arbeit” gibt, die sich alle ueberschneiden – ich schreib hier mal nur ueber die Menschen, die mann traditionell (oder auch nicht ganz so traditionell) als “Arbeiterklasse” bezeichnen wuerde (den Rest kann ich nicht einschaetzen):1) Menschen die in gut organisierten Bereichen Beschaeftigt sind (wissen tu ich, dass das in der Industrie so ist – keine Ahnung wie das bei Banken und so ausschaut, vorstellen koennte ich mir das schon)
    2) Menshen, die in Bereichen beschaeftigt sind, die gewerkschaftlich nicht gut oder ueberhaupt nicht organisiert sind. Hier wuerde mir der Handel, aber auch das Putz- bzw. Wachpersonal beispielhaft einfallen.
    3) Menschen ohne “klassische” Beschaeftigung, die aber eine fixe Arbeitszeit und ein fixes Einkommen haben. Hier gibt es mit Sicherheit grosse Ueberschneidungen mit der Gruppe, die ich unter 2) geschrieben habe. Beispielsweise sind das die verschiedenen Nachtwaechter in unseren Hotels und Posadas, das Putzpersonal, wo es nicht angestellt ist, Beschaeftigte in kleineren Unternehmen, etc.
    4) Menschen die ueberhaupt nicht planen koennen, wie viel sie am Tag/im Monat verdienen. Hier gehts einerseits um Strassenverkauefer (vom Fruchtsaft bis zur Sonnenbrille), Busverkauefer (in den oeffentlichen Bussen steigen vor der Abfahrt Menschen ein, die Zeitungen und Suessigkeiten verkaufen) bis hin zu Taxifahrern, die 80 BF (25 Euro) pro Tag fuers gemietete Taxi zahlen muessen.
  • Nach allem was man von den VenezolanerInnen hoert, duerfte sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren verschlechtert haben:
    – Die Strandlokale in Santa Fe sperren um 22 Uhr zu und danach wird man aufgefordert, in den bewachten Bereich der Posada zu gehen
    – ein ehem. Fischhaendler hat uns erzaehlt, dass er nicht mehr in seinem Job arbeiten kann, weil er sich das Schutzgeld fuer eine Bande in Santa Fe nicht mehr leisten kann – jetzt faehrt er Taxi
    – Die Nationalgarde “geht” regelm. in Barrios und “befriedet” diese (wobei das Befrieden mehr die Eigendefinition sein duerfte und die halt die Bandenmitglieder (und zufaellig dazwischenkommende Menschen) erschiessen.
  • Es ist extrem muehsam, bis die GenossInnen hier greifbar sind. Es schein nicht moeglich sein, sich am Telefon was fixes auszumachen, dass dann auch eingehalten wird.
  • Fuer ein flaechenmaessig so grosses Land wie Venezuela scheint extrem wenig Flaeche landwirtschaftlich genutzt zu werden (und ein bisschen sind wir mit dem Bus ja auch herumgekommen). Wenn man jetzt von der regelmaessigen Lebensmittelknappheit weiss, ist das umso absurder.
  • Von einer politischen Diskussion auf der Strasse/in den Lokalen oder so was wie einer “revolutionaeren” Aufbruchstimmung ist nichts zu bemerken. Selbst die aktuellen Graffittis reduzieren sich auf das Referendum, dass jetzt schon einige Zeit her ist und sind symptomatisch mit “Si con Chavez” oder einem schlichten “no”. Am ehesten hat man das Gefuehl, dass sich das Fernsehen mit Sozialismus beschaeftigt, was dann aber eher den oberlehrerhaften Charakter einiger Politfunktionaere oder vom Chavez selber hat.
  • Gewerkschaftliche Organisierung spielt sich (soweit ich das bisher mitbekommen hab) einzig und allein um den traditionellen Bereich der IndustriearbeiterInnen ab. Wenn venezolanische GenossInnen von der Arbeiterklasse reden (und das tun sie oft) habe ich den Eindruck, dass sie nur diesen kleinen Ausschnitt meinen.

1 comment so far ↓

#1 schneidmich on 02.25.08 at 3:13 pm

es scheint als wäre die situation, ebenso wie wie die denkmuster ziemlich eingefahren. gibt es eigentlich auch alternative denkerInnen, projekte oder parteien, die – abseits vom kampf ums öl-geld – auch konzepte für – etwa – die landwirtschaft haben?