Dienstag, 19. Februar – Vormittag

Wir sind in Carracas “gelandet” und haben einige anstrengende aber interessante politische Termine vor uns. Gleich am Dienstag Vormittag treffen wir uns auf der Uni von Carracas mit dem Miguel Angel Hernandes (Dozent am Institut fuer Soziologie und Theoretiker der C-CURA).

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Bevor ich schreibe, was uns der Miguel Angel alles erzaehlt hat, hier ein kleiner Ausflug in der ArbeiterInnenbewegung Venezuelas:

Bis vor ca. 10 Jahren (mich bitte hier nicht genau festnageln) haben ueberwiegend Sozialdemokratische Gewerkschaften dominiert. Wobei, das was hier sozialdemokratisch ist, schon was anderes wie bei uns ist. Ueberwiegend haben sich diese Gewerkschaften (hier gibts Betriebsgewerkschaften) mit den Arbeitgebern arrangiert/sich kaufen lassen/ bzw halt einfach Arbeitgeberpositionen vertreten – hier wirds sicher Abstufungen geben, aber im grossen und ganzen duerfte es das treffen. Seit eben 10 Jahren oder mehr haben diverse Linke Gewerkschaften in den Betrieben die “Macht uebernommen” und einen neuen Gewerkschaftsdachverband UNT gegruendet. In diesem Dachverband gibt es aber auch einen relativ starken christlichen Fluegel, der sich auch aus dem alten Dachverbant CTV verabschiedet hat. Die C-CURA, zu der wir hier Kontakte haben, ist ueberwiegend trotzkistisch und teilweise linkschavistisch (gerade das Verhaeltnis zur neue gegruendeten Linkspartei von Chavez – PSUV – ist fuer die aktuelle Spaltung in der C-CURA verantwortlich). Fuer alle Kritiker des Trotzkismus sei hier erklaert, dass es sich bei der C-CURA allerdings nicht wie bei uns um eine kleine “Minisekte” handelt (meine Freunde der radikalen Linken moegen mir diesen Ausdruck verzeihen) sondern um einen grossen gewerkschaftlichen Verband (davon hab ich mich selber ueberzeugen koennen) der in wesentlichen Industriebetrieben des Landes die Gewerkschaftsvorsitzenden stellt und die Gewerkschaftspolitik in Venezuela wesentlich praegt.

Doch wieder zurueck zum Miguel Angel:

Teile der C-CURA bereiten gerade die Gruendung einer neuen ArbeiterInnenpartei vor. Da so eine landesweite Parteigruendung gesetzlich allerdings recht aufwaendig ist, starten sie in 5 Bundesstaaten mit der Gruendung regionaler ArbeiterInnenparteien. Ein bissl absurd ist das hier gesetzlich allerdings schon, weil sowohl die Verwendung des Titels “Arbeiter” in einem Parteinamen verboten ist, als auch eine grosse Anzahl von Unterschriften aus allen Bundesstaaten fuer eine Parteigruendung notwendig sind. Der Miguel Angel schaetzt, dass die Parteigruendung in den 5 Staaten relativ glatt vor sich gehen wird und dass die Partei auch tatsaechlich eine Basis hat. Er erzaehlt, dass auch viele KollegInnen der C-CURA PSUV Mitglied sind, allerdings meistens, damit sie im Job (im staatlichen Bereich und in der Erdoelindustrie) keine Wickel bekommen. Die reale Anzahl an aktiven PSUV Mitgliedern schaetzt er auf 1 Million (ueber 5 Millionen haben sich als MG eingeschrieben). Laut dem Miguel Angel hat die C-CURA ihre Verankerung in der traditionellen Arbeiterklasse (also den IndustriearbeiterInnen), waehrend die Basis von Chaves (und somit auch der PSUV) das Barrio ist. Die Regierung versucht das aktuell gerade zu aendern, indem es wichtige Ministerposten mit Linkschavisten, die aus der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung kommen, besetzt (zum Beispiel ist der Arbeitsminister ein Chavez loyaler Trotzkist).

Absurdes

  • Im Nobeleinkaufszentrum (in dem wir schon am Anfang unserer Reise in Carracas waren) ist jetzt auch die Milch ausgegangen. Nachdem wir dorthin Geld abheben gefahren sind, wollten wir in einem Lokal namens Cafe Memphis einen Kaffee trinken und wurden drauf hingewiesen, dass es fast alles ausser Kaffee gaebe. Den halt nicht, weil sie keine Milch haben – also: die Lebensmittelkrise haelt an.
  • In der Bank in der wir unser Geld abgehoben haben (eben in besagtem Nobeleinkaufszentrum) muss man sich erst mal wie beim Arzt eine Nummer ziehen (das ist in allen Banken hier so) und dann sind ihnen beim Lukas die 100 Bolivares Fuerte Scheine (30 Euro und hoechster Gelschein) ausgegangen, so dass sie dem Lukas seine 300 Euro in 20 BF Scheine geben mussten (20 BF sind ca. 6 Euro).

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